Als Medusa erwachte, schienen die ersten Strahlen der Morgensonne durch das
Fenster genau in ihr Himmelbett, und sie lächelte. Sonne, blauer Himmel...dieser
Tag versprach, sehr schön zu werden!
Medusa setzte sich auf und schüttelte ihre Haare. „Adolf, Bertram,
Christian, aufwachen! Detlev, Ewald, Frank, ihr Faulpelze, schaut doch mal zum
Fenster hinaus, es ist ein so herrlicher Morgen!“
Vereinzelt öffneten sich müde Schlangenaugen, und ein leises Zischeln
wurde hörbar, als Medusas Haarschopf Schlange für Schlange erwachte.
Medusa eilte zum Fenster und beugte sich hinaus, um die frische Morgenluft
einzuatmen-
-und hielt statt dessen die Luft an.
In der Nacht hatten wohl jugendliche Vandalen in ihrem Steingarten gehaust,
denn ungefähr die Hälfte der Statuen war mit obszöner und/oder
politischer Graffiti bedeckt, wobei „Perseus ist geil“ noch der
harmloseste Spruch war. Das war allerdings nichts, was nicht mit einem Eimer
weißer Farbe wieder zu reparieren gewesen wäre. Nein, das wirkliche
Dra-ma war die in 1000 Stücke zerbrochene Statue des Ägypters!
Die Schlangen tuschelten aufgeregt miteinander, und Medusa seufzte.
„Na prima. Ihr wißt ja wohl, was das bedeutet, oder?“
„Krieg,“ schlug Zephaniah vor, der rechts von Medusas Scheitel
hing. Medusa schüttelte den Kopf.
„Unsinn, das bringt nichts. Wenn diese elenden Kinder für diese
Art von Unfug zu alt weden, kriegen sie einfach Nachwuchs. Das wäre ein
ziemlich ewiger Krieg, mein Lieber.- Nein, Jungs, es bedeutet einfach nur, daß
wir wieder mal einen Stadtbummel machen müssen.“
„Was,“ fragte Stefan empört, „schon wieder? Wir waren
doch erst vor knapp dreißig Jahren in der Stadt,“ aber die anderen
25, die für jede Abwechslung dankbar waren, brüllten ihn gnadenlos
nieder.
*
Den
Handkarren, den sie zum Abtransport der neuen Statue brauchen würde, parkte
Medusa kurz hinter dem Stadttor. Der Schleier, der ihren wunderschönen
Kopf vollständig verhüllte, lenkte die Blicke der Passanten automatisch
auf den tiefen Ausschnitt ihres faltenreichen Gewandes; so war es ein Leichtes
gewesen, den Torwächter davon zu überzeugen, Medusa auch ohne die
obligatorische Silbermünze in die Stadt hinein zu lassen. Medusa ignorierte
ein paar Frauen, die ihr neidisch hinterherstarrten, und runzelte die Stirn.
„Falls ihr ein paar ausnehmend schöne junge Männer sehen solltet,
Jungs, dann sagt es,“ befahl sie ihren Schlangen. Robert zischte ärgerlich.
„Unter diesem blöden Tuch sehe ich gar nichts.“
„Dann eben nicht,“ meinte Medusa und winkte einem alten Weib,
das am Straßenrand hockte. „Du da, altes Weib, wo kann ich in dieser
Stadt denn einen schönen jungen Helden finden?“
„Ach Fräulein,“ entgegnete die Alte, „versucht es
doch in einem Gasthaus.“
Medusa bedankte sich artig für den Ratschlag und machte sich sofort auf
die Suche.
*
Die „Pergola“ war um die Mittagszeit nicht allzu gut besucht,
und die Bedienung, die auf Medusa zueilte, war ganz bestimmt die häßlichste
Krähe, die sie jemals zu Gesicht bekommen hatte.
„Was,“ fragte die Krähe, sobald sie nahe genug herangekommen
war, „kann ich für Euch tun, edles Fräulein?“
Medusa spreizte die schlanken Finger.
„Ich suche einen Helden;“ meinte sie. „Kannst du mir da
weiterhelfen?“
Die Krähe entblößte faule Zähne, als sie grinste.
„Oh, Fräulein, natürlich. Ich kenne alle Helden hier. Sucht
Ihr einen Bestimmten, oder kann es Irgendeiner sein?“
„Naja,“ überlegte Medusa und überflog in Gedanken all
die Helden, die ihren Garten zierten, „er sollte verdammt gut aussehen,
verdammt heldenhaft sein und eben...naja...verdammt halt. Du weißt schon.“
Die Krähe strahlte wissend, als Medusa ihr zuzwinkerte.
„So richtig heldenhaft also? Nun, da hätten wir Perseus, Antaios,
Xenos, Phobos, Daimos, Arachnos, Hammerfred-“
„Hammerfred klingt gut,“ befand Medusa. „Wie ist der denn
so?“
Die Krähe senkte ihr häßliches Haupt und...kicherte.
„Edles Fräulein, der mächtige Hammerfred ist ein blonder Recke
von außergewöhnlicher Schönheit, und außerdem...“
sie errötete zart, „...außerdem hilft er vorzugsweise schönen
Frauen in Not. Mir hat er auch schon sehr geholfen.“
Das, dachte Medusa, kann ja wohl nicht wahr sein! Entweder ist dieser Held
der Allerletzte, oder er hat einfach nur einen extrem schlechten Geschmack.
„Nun ja,“ meinte sie also, „ich werde mir diesen Hammerfred
mal ansehen. Wo kann ich ihn finden?“
Die häßliche Bedienung beschrieb ihr freudestrahlend den Weg.
*
„Jetzt haben wir uns schon wieder verirrt,“ maulte Uli. „Und
alles nur wegen diesem blöden Helden!“
„Halt deine Klappe,“ befahl Medusa, die inzwischen auch ein wenig
gereizt war, und gab der Schlange einen Klaps. „Wir fragen jemanden.
- Hey, du da, Alte...“
Das angesprochene Weiblein drehte sich um.
„...wo finde ich den mächtigen Hammerfred?“
Die Alte errötete verschämt.
„Oh,“ hauchte sie, „der Held, den du suchst, und der schönen
Damen in Not so gerne behilflich ist....“ die Alte kicherte auch, und
Medusa hielt nun gar nichts mehr aus, „...wohnt genau in dieser bescheidenen
Hütte, auf die du blickst.“
Medusa bedankte sich und schickte sich an, die bescheidene Hütte zu betreten.
*
„Herein,“ rief eine tiefe, melodische Stimme, „wer auch
immer Hammerfreds Dienste beanspruchen möchte, der möge eintreten!“
Medusa senkte züchtig den Kopf, als sie durch die Tür in das bescheidene
Kämmerchen trat. Auf einer hölzernen Pritsche saß ein wunderschöner,
muskelbepackter Jüngling mit wallendem blondem Haar, das in den letzten
Strahlen der Abendsonne golden funkelte; seine rechte Hand ruhte auf dem Stiel
eines überdimensionalen Hammers, und davon abgesehen trug er bloß
noch ein Röckchen aus dem Fell einer edlen Raubkatze. Ozelot, vermutete
Medusa. „Edler Recke-“ begann sie, aber der mächtige Hammerfred
sprang bereits vom Bett auf und fiel vor ihr auf die Knie.
„Oh
schöne Dame, der große Hammerfred steht voll und ganz zu Eurer Verfügung!
Was, Teuerste, kann ich für Euch tun - Euch mit Gold und Juwelen überhäufen?
Ich kenne viele Orte, an denen große Schätze lagern.- Wilde Bestien
erwürgen? Ich erkenne sie alle schon am Geruch.- Den Ozean durchqueren?
Ich bin ein ausgezeichneter Schwimmer. - Euren Gatten beseitigen? Ich habe schon
viele Gatten beseitigt-“
„Neinnein,“ wehrte Medusa ab, „mein Held, ich habe ein
ganz, ganz anderes Problem.“
„Oh?“ fragte Hammerfred. „Dann vertraut es mir an, und
ich werde es für Euch lösen.“
Medusa fuhr mit der gespaltenen Zunge über ihre Lippen.
„Dann stellt Euch bitte auf, Herr Hammerfred.“ Schließlich
soll seine Statue nicht auf meiner Gar-tenbank sitzen. Er muß schon die
richtige Posditur einnehmen.
Ein wenig verwundert kam der edle Held Medusas Bitte nach.
„Und nun?“ fragte er. Medusa lächelte.
„Nun streckt bitte ein Hand flehend zum Himmel.“
Hammerfred streckte.
„Und nun?“
„Nun stellt bitte einen Fuß auf den Schemel.“
Hammerfred stellte.
Perfekt, dachte Medusa, Absolut perfekt, und riß sich den Schleier vom
Kopf.
„Oh, Fräulein,“ rief Hammerfred erschrocken, „ich
habe Euer Problem erkannt,“ nahm den riesigen Hammer und hieb ihn Medusa
so fest auf den Kopf, daß sie tot zusammenbrach.
Der mächtige Hammerfred war zwar so kurzsichtig wie ein Maulwurf, aber
den Geruch von Giftschlangen kannte er nur zu gut.
Nicole Oppermann
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