eschreibsel

Der Preis der Feigheit

„Nein, bitte nicht, Meister!!“, stammelte Nualdon, „bitte,verlangt das nicht von mir...“

Der Magier Mogam sah von dem Buch auf, in das er sich wieder vertieft hatte, und runzelte die Stirn. Er verzog die Miene und sprach: „Und warum nicht? Mein Lehrling weigert sich, den Auftrag aus-zuführen ? Sage mir, wovor Du Dich fürchtest.“

Nualdon schwieg, senkte den Kopf und flüsterte: „Ich sagte doch, daß die Diebesgilde mich sucht,“ dann verstummt er.

Der Magier zog die Augenbrauen zusammen.

„Ich weiß nicht , ob ich dann noch Verwendung für dich habe....“

Mit diesen Worten verstummte er und sah wieder auf das Buch. Nualdon fing an, leise zu weinen, und schlich aus dem Raum.

Wenn er jetzt nicht ging, brauchte er sich bei Meister Mogam niemals wieder blicken zu lassen. Aber so einfach zu gehen, das traute er sich auch nicht zu... es war ein großes Dilemma, in dem er sich befand. Er ging in die Küche, wo Auel am Ofen stand und einen köstlichen Kuchen buk. Sollte er dieses Leben wirklich aufgeben und als entlassener Lehrling zu seiner Familie zurückkehren? Nein, das würde ihn wieder vor dieses Problem stellen.

Auel stellte ihm wortlos ein Glas Wasser hin und strich ihm über die Haare, bevor sie sich wieder ihrer Arbeit zuwandte. Er trank ein wenig und stand dann auf und verließ den Raum. Er meinte noch, ein leises „Viel Glück“ zu hören, bevor die Tür wieder ins Schloß fiel.

Er nahm das Päckchen in die Hand und ging zum Tor. Er wußte, wenn er durch das Tor gehen würde, wäre er vollkommen auf sich allein gestellt. Seine Ausbildung war noch lange nicht so weit fortge-schritten, daß er ein wenig Magie ausüben konnte, außerdem war ihm dies im ersten Jahr seiner Zeit bei Mogam strengstens verboten. Warum war der Meister nur so streng mit ihm ?

Er öffnete das Tor und schaute vorsichtig heraus; auf der Straße war wenig los, wie oft zur Mittagszeit, und er schlängelte sich durch den Spalt auf die Straße hinaus. Scheu blickt Nualdon sich um, sah aber keinen, der ihn zu beachten schien, und so machte er sich auf den Weg. Er huschte im Schatten der Vordächer die Straße entlang und achtete auf alle, die in seine Richtung sahen. Aber immer noch nahm keiner Notiz von ihm. An einer wenig belebten Kreuzung standen an der Ecke zwei unscheinba-re Bettler, die an diesem heißen Tag zu dösen schienen. Aber Nualdon wollte kein Risiko einge-hen und stahl sich zurück in die Straße, aus der er kam, und suchte sich einen anderen Weg.

Auf dem Markt war um diese Tageszeit ebenfalls sehr wenig los, und auch hier sah er sich sorgfältig um, bevor er sich am Rand, im Schatten der Häuser, entlangstahl. Dann kam er zu der angegebenen Adresse und klopfte vorsichtig.

Eine jüngere Frau öffnete die Türe und lächelte Nualdon an.

„Und was kann ich für dich tun, Kleiner?“

„Meister Mogam schickt mich... ich soll dieses Päckchen hier abgeben...“

Nur stammelnd konnte Nualdon antworten, weil ihm der Duft der Öle fast den Atem nahm.

„Komm herein“, sagte sie und gab den Durchgang frei, „hier gleich in das linke Zimmer.“

Nualdon zögerte nur einen winzigen Augenblick, dann trat er durch die Tür. Im diesem Moment ergriffen ihn starke Arme und hielten ihn mit brutaler Gewalt fest. Er versuchte sich zu befreien ,aber die Angreifer waren einfach zu stark und hielten ihn in eiserner Umklammerung fest. Dann wurde er zu einem Stuhl gezerrt und darauf festgebunden. Da konnte er zum erstenmal ihre Gesichter sehen, und sein Herz sank ihm in die Hose.

Er hörte, wie einer seiner Ergreifer sich bückte, das Paket aufhob und es der Frau reichte.

„Hier, Surana, ich denke, dies ist für Euch...“

„Danke !“ hörte er noch, und dann verließ sie den Raum. Hinter einen hohen Sessel, der ihm mit dem Rücken zugewandt war, stiegen kleine Qualmwölkchen auf, und in diesem Moment wußte Nualdon, daß er verloren war. Hatten sie ihn nun doch erwischt... seine Zunge war mit einem Mal so angeschwollen, daß er nicht einmal hätte schreien können Er war verloren; wäre er doch besser nicht in der Stadt geblieben!

Der Sessel wurde mit einem Mal nach hinter geschoben, und die darin sitzende Person sprang auf und drehte sich zu ihm um. Nualdon fühlte ein Kribbeln in den Beinen und wäre am liebsten aufgesprungen und weggerannt. Er fühlte den kalten Schauer des Schreckens an seinem Rücken heraufkriechen, aber er konnte immer noch nichts sagen. Dewuel, der Gildemeister der Diebesgilde, stand vor ihm und lächelte voller Verachtung.

„Und du hast tatsächlich gedacht, daß du mir entkommen könntest ?“

Dewuel nahm die Pfeife wieder zum Mund und tat einen tiefen Zug.

„Nun ja, ich denke, du bedauerst alles zutiefst und es ist alles ein Mißverständnis ...“

Nualdon, mittlerweile konnte er fast wieder krächzen, nickte mit dem Kopf.

„Ja, sicher, woher wißt Ihr...?“

Dewuel lachte heiser und schüttelte den Kopf.

„Und ich dachte, du wärst anders als alle anderen... ich bin schwer enttäuscht von dir!“

„Meister...“

„Sei still, und nenn' mich nie wieder ‘Meister’!“

Dewuel war ganz nahe herangekommen und hielt die Pfeife nahe an Nualdons Gesicht.

„Du hast hier keine Rechte mehr. Niemand versucht mich zu bestehlen, oder Informationen verschwinden zu lassen. Deinetwegen sitzen einige meiner fähigsten Männer im Kerker!! Ihnen droht die Todesstrafe .. und wer soll ihre Familien ernähren ? Hast du auch mal an die gedacht? Ich werde viel-mehr überlegen, worin deine gerechte Strafe be-steht... vielleicht sollte ich dich in heißes Pech tauchen... oder an die Stadtmauer nageln lassen, als Abschreckung für alle anderen Diebe und Betrü-ger... ja, das würde ein deutliches Zeichen setzen...“

Der Schweiß rann über Nualdons Gesicht und tropfte auf sein Hemd und die Fesseln; das hatte er weder gewollt noch gewußt. Damals dachte er, er würde ein wenig für sich aus der Sache rausholen können.

„Aber wer weiß, vielleicht gefällt das deinem neuen Meister nicht? Und er würde tatsächlich etwas tun, um dein wertloses Leben zu rächen... oder sollte ich dich bei der Stadtwache als Dieb melden ?“

Ein breites Grinsen huschte über Dewuels Gesicht.

Nualdon warf seinen Kopf gegen die Lehne.

„Ausgerechnet Euch soll die Stadtwache glauben? Wo doch jedes Kind hier um Eure Bedeutung weiß? Meint Ihr, daß man Euch ein Wort glauben wird?“

Nualdon wußte, daß er damit sein Leben aufs Spiel setzte, aber vielleicht war dies seine letzte Chance.

„Ja“, entgegnete Dewuel, „ja, sogar dein Bruder weiß es!“

Nualdon wollte schreien und um sich treten. Das konnte er doch nicht tun! Sein Bruder, der mit dieser Sache nichts zu tun hatte! Was für ein Dreckskerl!

„Aber...“, fuhr Dewuel weiter fort, „ich denke, wir finden eine andere Lösung, bei der wir beide unseren Vorteil finden.“

Nualdon sah auf und wollte fragen, aber der Gildemeister fuhr schon fort.

„Wir wissen, daß dein Meister sehr viele wertvolle Sachen in seinem Turm hortet... und ich bin der Ansicht, daß man diese Kostbarkeiten nicht vor der Öffentlichkeit verbergen sollte...!“

Seinen Meister verraten ? Den grossen Magier Mogam? Wollte Dewuel das von ihm verlangen? Aber was sollte er schon tun...

„Und ich denke, daß du mit allen Sicherheitsvorkehrungen vertraut bist und uns sicheren Zugang gewähren wirst.“

Ein teuflisches Grinsen folgte; dann ging Dewuel zu einem Wandteppich und riß diesen von der Wand. Nualdons Blick folgte dem Dieb, und er sah zu seinem grossen Schrecken seinen übel zugerichteten Bruder auf dem Boden liegen. Als er mit aufgerissenen Augen versuchte, ein Lebenszeichen an diesemzu entdecken, hängte einer der Bewacher im Raum mit flinken Fingern den Teppich wieder auf.

„Gut“, antwortete Nualdon mit leiser Stimme, „aber mehr dürft Ihr von mir nicht verlangen...“

„Nein, natürlich nicht“, grinste Dewuel ihn an, „wo du doch direkt in der Lage bist, Forderungen zu stellen... aber ich will Gnade walten lassen, und wenn wir genügend Schätze entdecken, darfst du mit deinem Bruder zusammen die Stadt verlassen.“

Nualdon nickte und begann, die Fallen und Zaubersprüche zu beschreiben, mit denen Mogams Haus geschützt war. Als er fertig war, wurde er losgebunden; Dewuel gab ihm noch den Rat: „Und versucht nicht, uns zu umgehen... deinem Bruder wird es dabei schlecht ergehen, und dich werden wir ebenfalls erwischen! Schweige, und du wirst dies überleben.“

So kehrte Nualdon in den Turm des Magiers zurück und begab sich sofort in das Studierzimmer des Meisters.

„Meister....“

„Ja? Warum störst du?“

„Ich habe den Auftrag erledigt...“, fuhr Nualdon fort.

„Aha, und du hast den Weg doch überlebt? Mutig, sehr mutig... und jetzt geh mir aus den Augen!“

Nualdon wollte noch einmal ansetzen und Mogam alles erzählen, aber als der Meister die Augenbraue hochzog und auf den Ausgang deutete, verließ ihn der Mut und er ging auf sein Zimmer, legte sich auf seine Pritsche und zog die Decke über den Kopf.

Mitten in der Nacht hörte er Schritte auf dem Gang und das Schaben von Möbeln auf dem Boden, aber er fürchtete sich viel zu sehr, als daß er aufstehen und nachsehen würde. Er ahnte, was draußen pas-sierte.

Er dreht sich um und lag noch einige Zeit wach, bevor er wieder einschlief.

Am frühen Morgen trat er aus seinem Zimmer und- traute seinen Augen nicht:

Keiner der Teppiche hing noch an der Wand, und auch die Truhe war weg. Er schlich langsam in das Zimmer nebenan, welches ebenfalls völlig leer war. Das konnte doch nicht sein! Nein, das war unmöglich!


Er rannte die Treppe hinauf zu dem Schlafgemach seines Meisters und stieß die Tür auf. Im Normalfall wäre er dafür hart bestraft worden, aber diesmal war ja alles anders.

In seinem Himmelbett, dem einzigen noch vorhandenen Möbelstück, lag die Leiche Mogams. Nualdon lief hin und entdeckte, daß seinem Meister die Kehle durchgeschnitten worden war.

„Nein, nein... das wollte ich nicht!“, schluchzte er und rannte die Treppe hinab, um sich dort davon zu überzeugen, daß Alles nur ein Traum war.

Das Tor stand offen und schaukelte ein wenig im Wind. Auch hier war alles ausgeräumt und nichts mehr vorhanden. Nualdon rannte in die Küche und danach in den Vorratsraum; aber auch diese Räume waren völlig leer.

Tränen rannen über Nualdons Gesicht, und er sank auf dem Boden zusammen. Das hatte er nicht gewollt, nein, er dachte, daß Dewuel nur an Gold und Schmuck interessiert war, aber das hatte er nicht erwartet. Was sollte er nun machen?

Er ging langsam und niedergeschlagen in sein Zimmer und packte sein Bündel zusammen, bevor er den Turm verließ. Mit feuchten Augen schloß er das Tor und wollte dieses Kapitel hinter sich lassen.

Das Wetter war furchtbar schwül und drückend, als Nualdon sich auf dem Weg zu Dewuel machte, um seinen Bruder zu holen.

Im Gedränge auf dem Markt passierte es.

Plötzlich schlug ein Blitz neben ihn in den Boden, und er meinte, die Stimme seines Meisters zu hören: „Was für ein Feigling! Und das ist nun der Dank dafür, daß ich dich aufnahm und dir half!!!“

Nualdon wollte antworten, aber er konnte es einfach nicht.

Er blickte sich hilflos um- und erkannte, daß er verloren war!

Sein Körper war ein einziger Schmerz, so, als ob er verbrennen würde. Umstehende sahen ihn an und wurderten sich. Seine Haut zog sich wie bei einer Gänsehaut zusammen, und leichter Flaum erschien auf ihr. Das Gesicht zog sich immer mehr in die Länge, die Hände verkrümmten sich. Sein Kopf wurde schmaler und die Ohren fingen an zu wachsen. Er wollte schreien, aber es kam nur ein kreischendes, hohes Geräusch zustande. Einige der Umstehenden drehten sich um, weil sie den Anblick nicht ertragen konnten. Sein Körper krümmte sich, und die Beine zogen sich zu ihm hin. Auf einmal wurde es unnatürlich still, und dort, wo sich eben noch der Junge gekrümmt hatte, saß nun ein Kaninchen.

Hans Pritzlaff

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