eschreibsel

Die Geissel Der Menschheit

Amberton- Distrikt, Xolara, Solaris VII

Tamarind - Mark, Vereinigtes Commonwealth

8. Oktober 3052

Sable summte fröhlich vor sich hin, während er einen Einkaufswagen von der Kette abhängte. Für gewöhnlich stritt er sich nur ungern, schon gar nicht mit einem anderen Block-5er, aber diesmal war es unumgänglich gewesen. Wenn dieser miese Langfinger Jeebie es nicht lassen konnte, sich in Schwierigkeiten zu bringen, dann war das seine eigene Sache; wenn er aber durch eine schwachsinnige Aktion Andere in Mitleidenschaft zog - besonders diejenigen Leute, die wie Jeebie selbst ehemals im Block 5 der Henry- JVA eingesessen hatten, und unter denen wiederum ganz besonders Sable -, dann ging das zu weit!

Jeebie - der eigentlich Gunnar Eriksson hieß und als solcher über einen verteufelt großen Bekanntheitsgrad bei der Polizei der (ehemaligen) Freien Republik Rasalhaag verfügte - hatte mitten in Amberton ein paar Touristen beklaut, die aufgrund ihrer daraus folgenden Zahlungsunfähigkeit fast von einem Standgericht der Toten gelyncht worden wären.

Aber auch nur fast.

Und diese beiden Touristen hatten den Toten wohl eine recht gute Beschreibung von Jeebie geliefert; die Gang fand es überhaupt nicht lustig, daß ein Untoter, wie sie Nichtmitglieder zu nennen pflegten, in ihrem Revier wilderte. Da die Toten Jeebie persönlich nicht in die Finger bekommen hatten, begnügten sie sich letztendlich damit, den völlig ahnungslosen Sable halbtot zu prügeln, der es wiederum überhaupt nicht lustig gefunden hatte, von einer Horde johlender Kleinkrimineller nur aufgrund einer gewissen äußerlichen Ähnlichkeit mit dem Rasalhaagier über den Belag von Ambertons Hauptverkehrsstraße geschleift zu werden!

Wenigstens hatte Jeebie nicht allzu lange verbalen Widerstand geleistet, als Sable ihm in allen Einzelheiten geschildert hatte, was passieren würde, wenn diese Sache Chico - dem 'Dienstältesten' Block-5er- zu Ohren käme; im Gegenteil: Jeebie hatte den Kopf eingezogen und Besserung gelobt...

Völlig zufrieden mit sich und dem Rest des bekannten Universums begann Sable, den Einkaufswagen mit Karlskrone - Paletten zu beladen.

Marty kratzte sich nachdenklich am Kinn. Die Sonne war noch nicht einmal untergegangen, und der Nachtclub, den Marty und seine Söldnerkollegen heute zu besuchen gedachten, würde erst in einigen Stunden öffnen. Also blieb Marty Zeit genug, um sich die übrigen Schönheiten Ambertons anzusehen; schließlich war heute der letzte Tag, den "Reinhold's Roughnecks" im Rahmen ihres aktuellen Auftrags auf Solaris VII verbringen konnten...

Marty ließ seinen Blick über die Neonreklamen der anderen Lokale in dieser Straße gleiten, unschlüssig, wo er nun beginnen sollte, als ihn jemand unsanft anrempelte.

"Hey,", meinte Marty, und "Schulligung" der offensichtlich angetrunkene Rempler, ein Geselle in einem verwaschenen, blauen Sweatshirt, und "AAAAAAAAAAAAAAH!" wiederum Marty, als ihm der Schrecken wie ein glühender Blitz quer durch die Eingeweide fuhr.

"SMlTH!"

Der beinahe kahlgeschorene, goldzahnbewehrte und mit einem hübsch gestutzten Bart versehene Rempler starrte Marty entgeistert an.

"A-angenehm, Eriksson," hauchte er ehrfurchtsvoll und beeilte sich, aus der Reichweite des stämmigen Söldners zu gelangen.

Marty wartete schamrot, bis der Rempler - der in regelmäßigen Abständen über die Schulter in Martys Richtung sah - um die nächste Straßenecke gebogen war, dann schlug er beide Hände vors Gesicht.

'Mein Gott, wie peinlich,' dachte er, 'mitten auf der Straße wildfremden Menschen lauthals ins Gesicht zu brüllen...wie peinlich!'

Natürlich war dieser Typ nicht Smith gewesen, auch wenn eine gewisse Ähnlichkeit bestand. Soweit sich Marty zurückerinnern konnte, war Smith kleiner und dunkler gewesen - und mußte inzwischen auch mindestens eine Dekade älter sein.

Trotzdem...

Martys gute Laune war verschwunden.


Früher hatte Martin Francisco Rivera de Tortosa einen recht bequemen Posten als Flugausbilder an der Luft- und Raumfahrtschule der Taurianischen Streitkräfte innegehabt; eines Tages wurde ihm John X. Smith unterstellt, seines Zeichens ein lyranischer Söldner, der - weil er etwas ausgefressen hatte und aufgrund der damals im Taurianischen Konkordat herrschenden Ausbilderknappheit - die Wahl zwischen Knast und F1ugschule gehabt und sich für letzteres entschieden hatte. Im Grunde seines Wesens war Smith eine feige, kleine Ratte gewesen, die immer sofort den Schwanz eingezogen hatte, sobald ihm eine physische oder psychische Auseinandersetzung drohte - und zudem konnte der Lyraner so unverfroren lügen, daß sich die Balken eines Union- Schiffes gebogen hätten. Nichtsdestotrotz hatte sich Marty prima mit Smith verstanden, bis der eines Tages einen Kollegen überfiel, ausraubte, in einen Schrank sperrte und auf Nimmerwiedersehen verschwand.

Marty, der für Smith verantwortlich gewesen war, hatte keine andere Möglichkeit gesehen, selbst einer Iängeren Haftstrafe zu entgehen, als stehenden Fußes aus dem Taurianischen Konkordat zu fliehen.

Das Leben als Söldner war alles andere als einfach, wie Marty bald hatte feststellen müssen ...vor allem, da er im Konkordat nach wie vor als Fahnenflüchtiger gesucht wurde.

Das Leben war schon ein arges Jammertal.

Sable schielte über den Palettenrand zum Himmel. Die Sonne war inzwischen im Untergehen begriffen, und es hatte - wie meistens - zu nieseln begonnen. Ein Taxi mußte her, denn es zahlte sich für gewöhnlich nicht aus, im Dunkeln, zu Fuß und alleine von einem Ende von Amberton zum nächsten zu tapsen-

Just in diesem Moment trat Sable ein Pferd an den Kopf, und bevor er überhaupt registrierte, was geschehen war, lag er platt wie ein Seestern und von unzähligen Bierdosen umringt auf dem feuchten Straßenpflaster. Automatisch drehte er sich auf den Rücken - und sah in die Mündung einer großen Pistole. Da wurde ihm ziemlich übel.

"Ich würde nicht einmal daran denken," grollte ein heisere Stimme, und in Sables schmerzendem Kopf überschlugen sich die Gedanken.

Scheiße, die Bullen, war das Erste, das ihm in den Sinn kam, und Heiliger Blake, die Toten, das Zweite, und dann erkannte er den Mann hinter der Waffe und wünschte sich, daß Kit - diese blöde Schlampe - zumindest einmal da wäre, wenn man sie wirklich brauchte...aber leider...

Sable schluckte.

"Hallo, Marty," meinte er verlegen, "wie geht's dir?"

Das purpurrote Gesicht seines ehemaligen Vorgesetzten wurde noch dunkler, und die Mündung der Waffe kam bedenklich nahe an Sables Gesicht heran. "Smith, du Hurensohn," stieß der Söldner hervor, "das war's für dich! Sag 'Gute Nacht' und verende!"


"Marty, hör mal," begann Jake 'Sable' Esposito alias John X. Smith zaghaft, aber Martin Rivera brüllte lediglich lauter.

"Sprich dein letztes Gebet, du Bastard, und dann mach ich dich kalt, hier auf der Stelle, UND ES KÜMMERT MICH EINEN SCHEISSDRECK, WIEVIEL IDIOTEN DABEI ZUSEHEN, SCHLIESSLICH HABE ICH EINE WAFFE UND IHR NICHT!"

Sable hörte, wie sich ein paar actiongeile Passanten schleunigst aus der Gefahrenzone wegbewegten, und da schwand auch sein letztes Fünkchen Hoffnung, diese Nacht zu überleben.

"Äh, Marty," startete er einen neuen Versuch, dem hocherregten Raumjägerpiloten gut zuzureden, "hör' doch mal zu, bitte-"

"ICH DENKE NICHT DARAN, DU KLEINES-"

"Marty, laß mich doch erklären-"

"DU HAST MICH RUINIERT! Ruiniert! ICH WERDE STECKBRlEFLlCH GESUCHT, UND ALLES NUR WEGEN DIR!"

Martys dicker Finger krümmte sich beängstigend um den Auslöser, was Sable dazu veranlaßte, heftig den schmerzenden Schädel zu schütteln.

"Neinneinnein, Marty, es war nicht meine Schuld-"

"UND OB! HÄTTEST DU NICHT MEINE WAFFE GENOMMEN UND DAMIT DEINEN KUMPEL WASHINGTON ÜBERFALLEN, DANN SÄSSE ICH jetzt noch in meiner

Hämorrhoidenschaukel im Konkordat..."

Marty, dessen Kondition offensichtlich nachließ, schnappte nach Luft; diese Chance mußte Sable nutzen - vermutlich war es sowieso die letzte... "Marty, ich habe dir diese blöde Waffe nicht abgenommen," erklärte er, einen Zeigefinger in die feuchte Luft reckend, "ganz im Gegenteil - ich hab' dich darum gebeten, und du hast sie mir bereitwillig ausgeliehen! Hättest du dich an die bestehenden Vorschriften gehalten, hättest du mir das Ding niemals in die Finger geben dürfen.- Das war Punkt 1.- Und glaubst du, dir wäre wegen dieser Sache irgend etwas Schlimmes passiert, wenn du nicht genauso wie ich auf Bewährung beim Militär gewesen wärst? Hättest du dich nicht in deiner Freizeit als Waffenschieber betätigt und wärst du nicht aufgeflogen, dann wärst du sicher niemals für zehn Jahre als Flugausbilder zwangsverpflichtet worden, und du hättest garantiert nicht den undankbaren Auftrag bekommen, einen Gewohnheitsverbrecher wie mich zu hüten! Zehn Jahre sind eine verdammt lange Zeit, Marty, wenn man bei der geringsten Verfehlung in den Knast wandern darf...Falschparken hätte wahrscheinlich genauso genügt.- Das war Punkt 2." Der Lyraner warf einen vorsichtigen Blick auf Martys Zeigefinger; der hatte sich ein wenig entspannt.

Das war gut.

"Weißt du, Marty, auch wenn du mich offenbar für eine Geißel der Menschheit hältst - es gibt nur einen einzigen Menschen im gesamten Universum, den ich vorsätzlich in die Pfanne gehauen habe, und das war Leutnant Wilhelm. Kennst du Leutnant Wilhelm? Nein? Das dachte ich mir.- Das war damals auf Som- auf Tharkad, als ich einen Raumjä- etwas Sauteures in meine Gewalt bringen wollte und jemanden brauchte, um meinen Rückzug zu decken - mit Waffengewalt. Leutnant Wilhelm dachte wohl bis zuletzt, dem lyranischen Geheimdienst einen Gefallen getan zu haben."

Martys Augen verengten sich wieder, und Sable beeilte sich, sein Plädoyer zu beenden.

"Nun ja, was ich damit sagen wollte, ist bloß... falls ich überhaupt irgend jemandem einen berechtigten Anspruch auf meinen Kopf zugestanden hätte, dann Leutnant Wilhelm, denn ich habe Wilhelm mit voller Absicht ins offene Messer laufen lassen, mögen mir die Götter verzeihen. Du hast deine ganze Misere leider selbst verschuldet, Marty, und deshalb hast du kein Recht dazu, mich umzubringen.- Das war eigentlich Alles."

Marty verzog das Gesicht und knirschte hörbar mit den Zähnen; Sable kam es vor, als starre der bullige Söldner ihn eine Ewigkeit lang unschlüssig an...und dann holte Marty tief Luft und ließ die Pistole sinken, bis ihre Mündung auf den Asphaltboden zeigte.

"Du warst schon immer große Klasse im Verdrehen von Tatsachen, Smith," meinte Marty müde, "aber ein klein wenig Recht hast du sogar, Und ich - ich bin kein Mörder."

Sieg!

Sable atmete tief durch und streckte sich ausgiebig, aber mit aller gebotenen Vorsicht, um Marty nicht doch noch zu einer Dummheit zu animieren. Langsam, ganz langsam erhob er sich und betastete seinen geschundenen Hinterkopf mit der linken Hand.

"Du hast ziemlich kräftig zugeschlagen," stellte er fest, und Marty nickte beschämt.

"Ja, ich weiß-"

Der Schlag traf Marty mitten ins Gesicht und warf ihn rücklings auf den Gehweg, während seine großkalibrige Pistole über den nassen Asphalt aus seiner Reichweite schlitterte.

Im nächsten Augenblick kniete Sable auf ihm, und die Klinge eines Vibrodolches vibrierte nur Millimeter von seiner Kehle entfernt.

"Na schön, na schön," frohlockte Sable, nachdem er sich versichert hatte, daß Marty keine weitere Waffe bei sich trug, "du hast mich geschlagen, ich habe dich geschlagen. Du wolltest mich erschießen, ich würde dir lieber den Hals durchschneiden, aber - ich halte mich genausowenig für einen Mörder wie du dich. Nur merke dir eins: bedrohe' mich bitte nie, nie wieder."

Mit diesen Worten erhob sich Sable, griff nach Martys Pistole und drückte sie ihrem blutenden, verwirrten Eigentümer in die Hand.

"Hier. Wenn du offenbar schon kein Geld mit dir herumträgst, solltest du zumindest nicht unbewaffnet sein. Das wäre in Amberton nämlich ganz, ganz schlecht.- Und schau nicht so entsetzt drein; daß ich vor knapp zehn Jahren kaum mein Eßbesteck halten konnte, heißt noch lange nicht, daß ich mich heutzutage nicht meiner kostbaren Haut wehren kann. Hinter Gittern lernt man viele nützliche Dinge."

Der kleine Lyraner bückte sich, hob eine Bierdose auf und warf sie seinem ehemaligen Vorgesetzten zu.

"Ja, Marty, ich war im Knast. Zwei unglaubliche Tage, nachdem du desertiert bist, haben mich ein paar deiner damaligen Kollegen geschnappt und einsperren lassen. Wärst du also nicht so überstürzt geflohen, mein Freund, dann könntest du jetzt ein taurianischer Volksheld sein.- Gute Nacht, Marty. Vielleicht sehen wir uns ja irgendwann einmal wieder."

Marty saß noch sehr, sehr lange auf dem nassen Gehweg und starrte zu der Stelle hin, an der er Sable zuletzt gesehen hatte...so lange, bis er von einer zufällig vorbeifahrenden Po1izeistreife wegen Trunkenheit in der Öffentlichkeit aufgelesen wurde. Und weil sich Marty nicht ausweisen konnte, wurde er zunächst einmal für drei Tage in Untersuchungshaft behalten.

Die blonde Schönheit mit der Augenklappe schaute angestrengt zu den Neonschildern empor, aber zu ihrem großen Leidwesen war sie schon nicht mehr dazu imstande, die Namen der werbenden Etablissements zu entziffern; das veranlaßte sie dazu, unwirsch den Kopf zu schütteln, was wiederum den Straßenbelag dazu veranlaßte, zu verschwimmen.

'Na prima', dachte die Blonde, 'einäugíg UND besoffen, das sind die besten Voraussetzungen, um dein Hotel wiederzufinden, Mädchen', als sie jemand unsanft anrempelte.

Ziemlich wütend drehte sich Major Maria Wilhelm um.

To be continued...

Nicole O.

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