Eine Anleitung zum poetischen Rollenspiel
Mit dem neusten Machwerk aus dem Verlag Feder und Schwert wagen sich die Macher
von Karma nach einigen Abenteuerpublikationen und der deutschen Übersetzung
des Vampire erstmals daran, ein eigenes Rollenspiel auf den Markt zu bringen.
Allein das Lesen des Klappentextes hat mich bei diesem Spiel schon so neugierig
gemacht (was bei mir ziemlich oft vorkommt), daß ich es mir mal zulegte.
Man erhält eine Anleitung zum poetischen Rollenspiel, das auf der Welt
der Geister und Dämonen, Távál Ruchoth wá-Shedím,
spielt. Ob das Regelwerk auch hält, was es verspricht, oder ob das einzig
Neue an Karma nur der etwas komplizierte Name der Welt ist, interessiert mich
sehr ...
Vorab sei gleich gesagt, daß nicht nur der Name der Welt etwas Neues
ist, sondern auch das Spiel an sich. Die Grundidee ist, daß die Charaktere
im Rad des Sterbens und der Wiedergeburt „gefangen“ sind. Dem
kann man nur entfliehen, indem man seinen Karmastand auf Null senkt, der am
Anfang auf 100 steht. Hat ein Charakter dies bis zu seinem Tode nicht geschafft,
wird er in einem neuen Körper wiedergeboren, wobei er dann seinen alten
Karmastand als Ausgangswert hat. Hierbei tritt spieltechnisch nur das “kleine“
Problem auf, daß ein Charakter, der gestorben ist, kaum direkt wieder
in die laufende Geschichte einsteigen kann, da er als kleines Kind wieder auf
die Welt kommt... es sei denn, der Spielleiter löscht immer auf einen Schlag
die ganze Gruppe aus, was wohl meist zu einiger Empörung führt...
Die
Spielbeschreibung des Buches ist in drei Kapitel, genannt Bücher, unterteilt.
Im „Buch Eins: Von der Welt“ wird eben diese beschrieben. Beginnend
mit einem Text über die Entstehung der Welt Távál Ruchoth
wá-Shedím, der in Form eines Lied- bzw Gedichttextes wiedergegeben
ist, arbeiten sich die Autoren über eine kurze Beschreibung des Planeten,
in der die wichtigsten Kontinente, der grobe Aufbau der Welt, die Zeitrechnung
und die magischen Ströme beschrieben werden, zu den verschiedenen Rassen
Távál Ruchoth wá-Shedíms vor. Es werden eigentlich
nur recht wenige Rassen vorgestellt, die aber alle(!) von den Spielern benutzt
werden dürfen. Die Beschreibungen der Rassen sind größtenteils
sehr schön geworden. Außerdem haben die Autoren einige bekannte Rassen
total neu (anders!) beschrieben und auch ein paar neu dazu erfunden.
Als letzten Punkt im ersten Buch wird genauer auf das Wesen der Magie eingegangen.
Távál Ruchoth wá-Shedím ist eine sehr magiestarke
Welt, in der es den Spielern recht einfach gemacht wird, sie zu benutzen. Die
Magie wird in mehrere Teilgebiete untergliedert, in Elementarmagie, Formerei,
göttliche Magie, Hexerei, Mystizismus, Psi, Shamanismus und Thaumaturgie.
Das Haup-tunterscheidungsmerkmal ist ihr jeweiliger Ursprung. So ziehen zum
Beispiel die Elementarmagier ihre Kraft aus den Elementen, die Hexen und Hexer
aber aus Pakten mit Dämonen.
Das erste Buch ist durch Einschübe, die aus großen Werken stammen,
die auf der Welt Távál Ruchoth wá-Shedím entstanden
sind und durch manch eine Weisheit so aufgelockert verfaßt, daß
es wirklich Spaß macht, es zu lesen. Es wirkt dadurch nicht unbedingt
wie ein Regelwerk, sondern oftmals eher wie eine Geschichte.
Im „Buch Zwei: Von den Regeln“ wird für Spieler und Spielleiter
das Handwerkszeug erklärt, um sich Charaktere für Karma zu erschaffen
und sich mit diesen auf Erlebnisse einzulassen.
Zuerst werden die Spielmechanismen von Karma erklärt, die sich erheblich
von den mir bisher bekannten Spielen unterscheiden. Karma ist ein recht esoterisch
angehauchtes Spiel, in dem eigentlich alles seine gute und schlechte, weiße
und schwarze Seite, Yin und Yang hat. Das spiegelt sich so in den Regeln wieder,
daß jedes Attribut und jede Fertigkeit zwei Seiten hat, auf die man verschieden
viele Punkte vergeben kann.
Außerdem ist das seelische Gleichgewicht eines Charakters für jede
Probe sehr wichtig. Macht ein Charakter eine Probe auf den Yinteil einer Fertigkeit,
sein Gleichgewicht hat sich aber in die Yang- Richtung verschoben, wird er es
schwerer haben als ein ausgeglichener Charakter. Dafür werden ihm Yangproben
einfacher fallen. Das Gleichgewicht eines Charakters verschiebt sich dadurch,
daß er zu viele Proben einer Seite gemacht hat, bzw. zu gut geschafft
hat.
Eine weiter Besonderheit der Proben ist, daß ihr Ausgang nicht mit Würfeln
bestimmt wird, sondern mit dem I Ging (,das jedoch mit Würfeln simuliert
werden kann).
Die Erschaffung eines Charakters ist recht gut beschrieben und wird durch zwei
gute Beispiele abgerundet. Interessant hierbei ist, daß es den Spielern
sehr nahegelegt wird, sich zuerst ein Bild über den Charakter zu machen
und dann Punkte auf seine Attribute und Fertigkeiten zu vergeben. Dies spiegelt
auch den Versuch wieder, aus Karma ein Spiel zu machen, wo es mehr auf das Rollenspielerische
ankommt als auf einen geschickten Einsatz von mathematischen Formeln und Würfelmassen.
Die einzige Einschränkung, die ein Spieler bei der Erschaffung seines Charakters
hinnehmen muß, ist, daß er in Abhängigkeit seines Karmas die
Rasse wählen muß. So kann man einige Rassen wie zum Beispiel die
Sidhe (Elfen) oder die gestaltwandelnden Alfar erst nach einer Wiedergeburt
spielen.
Den einzigen Abstrich, die Regeln betreffend, muß Karma im „Buch
drei: Vom Spiel“ hinnehmen. In diesem Abschnitt werden die Regeln für
die Ausführung von Magie und Kämpfen besprochen.
Bei der Magie ist meiner Meinung nach der Schwierigkeitsgrad für die Proben
nicht ganz gelungen. Man muß in der Probe ein bestimmtes I-Ging Muster
werfen. Falsche Linien können durch Investieren von Yin- oder Yang- Punkten
gerichtet werden, was jedoch immer teuerer wird, um so mehr Linien man verändern
muß. Die Chance bei einem I Ging Wurf, daß auch nur die Hälfte
der Linien mit einem bestimmten Muster übereinstimmt, ist recht gering.
Ein magiebegabter Charakter müßte über eine Menge Punkte in
seiner Magiefertigkeit verfügen, um Sprüche mit einiger Sicherheit
wirken lassen zu können. Ein Charakter muß schon sehr, sehr viel
Erfahrung sammeln, um ein mehr oder weniger erfolgreicher Magiekundiger zu werden,
was aber auf die Dauer doch etwas frustrierend wird. Schön ist dagegen,
daß Zauber frei erfunden werden müssen. Es sind für jede Zauberform
nur ein paar Beispiele angegeben. Will ein Charakter also einen Spruch ausführen,
muß er diesen vorher mit dem Spielleiter zusammen entwickelt haben.
Die Kampfregeln sind zwar sehr fein und bieten einige Möglichkeiten, aber
auch hier sind leider ein paar kleine Fehler versteckt. Zum Beispiel, daß
der Vorteil, den ein massiver Harnisch als Panzerung bringt, zu 100% durch seine
Mali aufgebraucht wird (in der gleichen Probe). Schade eigentlich.
Zum Abschluß läßt sich sagen, daß Karma ein gelungenes
Spiel ist. Da es dem Spielleiter und auch den Spielern recht viel abverlangt,
ist es allerdings für Neueinsteiger in das Hobby „Rollenspiel“
nicht geeignet. Es bietet einige neue Ideen und wird dem geneigten Leser durch
ein größtenteils schön geschriebenes und gut gegliedertes Regelwerk
nahegebracht. Die einzigen Abstriche muß es- wie gesagt- im letzten Kapitel
hinnehmen, die aber jede fortgeschrittene Spielgruppe durch ein wenig Improvisation
und Erfindungsreichtum meistern kann.
Fazit: Das Reinschauen lohnt sich auf jeden Fall für alle Fantasy-
und Storytellerfans.
Bernd Schuhmacher
Diese Seite ist Teil der Webpräsenz der Gedankenwelten
e.V..
Die Rechte an den Artikeln liegen bei ihren Autoren.
Die Webpräsenz wird von der nMedien
GbR freundlich unterstützt.